Gedanken zum Jahresende
Wieder hat ein neues Jahr
für uns alle heut' begonnen.
Und das Alte, nun zerronnen,
sei bedankt für das was war.
Freude gab es uns und Schmerz.
Regentage, Sonnenstunden.
Und im Geist mit Euch verbunden,
ist voll Hoffnung unser Herz.
Auch in Zukunft wollen wir,
wie in den vergan'nen Jahren,
gute Freundschaft treu bewahren,
denn sie ist das Beste hier.
Renee Christian Hildebrandt
Neujahrswünsche
Jeder wünscht sich langes Leben,
seine Kisten voller Geld,
Wiesen, Wälder, äcker, Reben -
Klugheit, Schönheit, Ruhm der Welt,
doch wenn alles würde wahr
was man wünscht zum neün Jahr,
dann erst wär es um die Welt,
glaubt es, jämmerlich bestellt.
Lebten alle tausend Jahre,
was gewönnen wir dabei?
Kahle Köpfe, graü Haare
und das ew'ge Einerlei!
Im erschrecklichen Gedränge
ungeheurer Menschenmenge
würden Stadt und Dorf zu enge,
und die ganze Welt zu klein.
Niemand könnte etwas erben,
denn es würde keiner sterben;
und wer möchte Doktor sein?
Wäre jedermann so reich,
als wohl jeder wünscht zu werden:
Nun, dann würden wir auf Erden
uns, in Sorgen, alle gleich.
Da niemand des andern Bürde
künftig auf sich laden würde,
müsste jeglicher allein
sein höchsteigner Diener sein;
selber seine Strümpfe stricken,
möcht' er nicht gern barfuss gehn;
selber Rock und Hosen flicken
möcht' er nicht wie Adam stehen;
müsste kochen, braten, backen,
liebte er gesunde Kost.
Wäre er kein Freund vom Frost,
müsst' er selber Holz sich hacken.
Ständen alle ohne Mängel
wir hienieden schon, als Engel,
o wie wär' es böse Zeit
für die liebe Geistlichkeit!
Wer denn könnte Pfarrer werden
in dem Himmel hier auf Erden,
wenn der Laie besser wäre
als die Predigt, die er hört?
Nur wo nötig ist die Lehre
-und sonst nirgends- hat sie Wert.
Advokaten gingen müssig;
Richter wären überflüssig;
und Dragoner und Husaren
wären überflüss'ge Waren.
Ach, in diesem Weltgetümmel
wüchse wieder neü Not,
denn es brächte unser Himmel
manchen braven Mann ums Brot.
Wären alle Mädchen schön,
und von aussen und von innen
und vom Wirbel bis zum Zehn
zauberische Huldgöttinnen:
zu alltäglich, zu gemein
würden schöne Mädchen sein;
niemand würde auf sie blicken. -
Wäre alles Diamant,
was jetzt Kiesel ist und Sand,
niemand möchte sich drum bücken.
Jeder wünscht zum neün Jahr.
Aber würde alles wahr,
dann erst wär' es um die Welt,
glaubt es, jämmerlich bestellt!
Wollet Ihr die Welt verbessern,
(blosse Wünsche tun es nie,
Spiele sind's der Phantasie!)
wollet ihr die Welt verbessern,
fange jeder an bei sich,
denn der Mittelpunkt der grössern
Welt ist jeglichem sein Ich.
Dieses Ich wirft seine Strahlen,
einer innern Sonne gleich,
durch des Lebens weites Reich.
Wie es selber ist, so malen
sich die Dinge klein und gross,
prächtig oder farbenlos!
Heinrich Zschokke (1771-1848)
Am letzten Tage des Jahres
Das Jahr geht um,
Der Faden rollt sich sausend ab.
Ein Stündchen noch, das letzte heut,
Und stäubend rieselt in sein Grab,
Was einstens war lebend'ge Zeit.
Ich harre stumm.
's ist tiefe Nacht!
Ob wohl ein Auge offen noch?
In diesen Maürn rüttelt dein
Verrinnen, Zeit! Mir schaudert doch.
Es will die letzte Stunde sein
Einsam durchwacht.
Geschehen all,
Was ich begangen und gedacht,
Was mir aus Haupt und Herzen stieg:
Das steht nun eine ersnte Wacht
Am Himmelstor. O halber Sieg!
O schwerer Fall!
Wie reisst der Wind
Am Fensterkreuze! Ja, es will
Auf Sturmesfittiche das Jahr
Zerstäuben, nicht ein Schatten still
Verhauchen unterm Sternenklar.
Du Sündenkind!
War nicht ein hohl
Und heimlich Sausen jeden Tag
In deiner wüsten Brust Verlies,
Wo langsam Stein an Stein zerbrach,
Wenn es den kalten Odem stiess
Vom starren Pol?
Mein Lämpchen will
Verlöschen, und begierig saugt
Der Docht den letzten Tropfen öl.
Ist so mein Leben auch verraucht?
Eröffnet dich des Grabes Höhl
Mir schwarz und still?
Wohl in dem Kreis,
Den dieses Jahres Lauf umzieht,
Mein Leben bricht. Ich wusst es lang,
Und dennoch hat dies Herz geglüht
In eitler Leidenschaften Drang.
Mir bricht der Schweiss
Der tiefsten Angst
Auf Stirn und Hand. Wie? dämmert feucht
Ein Stern dort durch die Wolken nicht?
War es der Liebe Stern vielleicht,
Dir zürnend mit dem trüben Licht,
Dass du so bangst?
Horch, welch Gesumm?
Und wieder? Stebemelodie!
Die Glocke regt den ehrnen Mund.
O Herr, ich falle auf das Knie:
Sei gnädig meiner letzten Stund!
Das Jahr ist um!
Anette von Droste-Hülshoff (1797-1848)
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